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Mehr Mut zur Angst

Sich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen fördert persönliche Entwicklung



Angst kann kraftvoll, schwer, dunkel und bedrohlich erscheinen. Wie ein Sog kann sie einem den Verstand entziehen. Und doch ist Angst sehr wichtig und förderlich für uns - wenn wir ihre Energie zu nutzen lernen.



Angst Annehmen


Haben Sie auch manchmal so seltsame Ängste oder fühlen sich sehr unwohl? Zum Beispiel, wenn sie einen Vortrag halten sollen, vor einer Prüfung, vor einem Bewerbungsgespräch oder vor einem Konfliktgespräch? Vielleicht unter den Eindrücken von Pandemie, Krieg und Rezession auch häufiger am Tag? Nehmen Sie Ihre Ängste oder dieses Unwohlsein dann bewusst wahr? Fühlen Sie Ihre Angst, wenn sie da ist, und können Sie diese einen Moment lang aushalten? Können Sie Ihre Angst bewusst fühlen, vielleicht sogar betrachten?

Dann sind sie bereits auf einem wirklich guten Weg!




Angst ablehnen

Das Bild vom furchtlosen Helden täuscht" [Reinhold Messner]

#Angst haben wir alle unser Leben lang. Angst ist ein sogenanntes Grundgefühl neben Freude, Wut, Trauer. Entscheidend ist, ob man das akzeptieren mag und gut damit umgehen kann oder nicht. Denn ein Großteil der Menschen will diese Emotion einfach möglichst schnell und dauerhaft loswerden. Nachvollziehbar ist das, denn Angst zu spüren ist allemal nicht angenehm. Und Angst kann uns regelrecht blockieren: In Prüfungssituationen beispielsweise kann starke Angst die Ansprechbarkeit von Hirnarealen einschränken, die unter anderem wesentlich für Logik, Sprachvermögen und Erinnerung benötigt werden. Unter Angst "funktionieren" wir dann nicht mehr optimal und erfahren Hilflosigkeit. Das wiederum passt nicht in die Vorstellung einer Leistungsgesellschaft, in der man zuverlässig und permanent zu funktionieren hat. Belastende Grundemotionen wie Angst und Trauer scheinen in unserer Gesellschaft kaum Platz zu haben. Unsere Gesellschaft scheint nach wie vor konsequent ein anderes Optimum vorzugeben: "Angst haben nur Looser! Angsthase! Mach Dich doch nicht lächerlich! Sei nicht so kindisch!" Angst soll man „im Griff haben“, „unterdrücken“ oder "besiegen". Angst soll also am besten „weggemacht“ werden. Zur Erfüllung dessen gibt es dann zahlreiche destruktive Möglichkeiten: Unterdrückung, Leugnung, Projektion, Verspottung, Verachtung, Ablenkung und Agitation, narzisstische Selbstüberhöhung, permanente Vermeidung der Situation, zwanghafte Fröhlichkeit (#goodvibesonly), Aggression gegen sich selbst bis hin zur Depression oder Aggression gegen andere, Drogen ("Ein Schluck vorweg hilft ja immer gut…“) usw. Übrigens: Die Angsterkrankung ist hierzulande die am häufigsten vorkommende psychische Erkrankung, unmittelbar gefolgt von #Depression und #Suchtmittelmissbrauch (meist Alkohol & Medikamente). Womit könnte das denn nur zusammenhängen...?




Ängste - Wegweiser persönlicher Entwicklung


„Jegliche Furcht rührt daher, dass wir etwas lieben.” [Thomas von Aquin]

Ängste gibt es ja ganz verschiedene. Einen adäquaten Überblick dazu gibt es beispielsweise auch auf Wikipedia. Darauf möchte ich hier gar nicht eingehen. Im Fokus sollen hier auch nicht Ängste mit Krankheitswert stehen, die zunächst fachgerecht therapeutisch behandelt werden sollten. Es geht auch nicht um Sensations-Ängste ("Thrill") wie bei Mutproben oder ähnlichem. Es geht hier um Themen und Situationen, bei denen wir uns sehr unwohl bis sehr ängstlich fühlen. Über die Jahre fiel mir eines auf: In all den wissenschaftlichen Abhandlungen werden Ängste analysiert – sowohl körperlich als auch psychisch. Es wurde und wird viel geforscht und dargestellt, wie die verschiedenen Ängste entstehen, was dabei im Körper geschieht, wie man damit umgehen kann, wie man Ängste therapieren kann usw. Das alles ist auch durchaus wichtig. Interessant finde ich aber, dass in den meisten wissenschaftlichen Betrachtungen ein wesentlicher Aspekt eher selten angeführt wird: Angst ist auch Wegweiser und Motivator zu persönlicher Entwicklung! Das ist keine neue Erkenntnis. Die gibt es schon seit Jahrtausenden in Form systematischer Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten im Buddhismus. Meister Eckhart beschrieb die Anhaftung der Angst an das Ego. Sigmund Freud schuf mit der Psychoanalyse ein neues Verfahren, sich selbst und seine Ängsten zu ergründen. Fritz Riemann ordnete die Ängste nach Grundformen. Verena Kast sieht den kreativen und konstruktiven Umgang mit Angst als Schlüsselqualifikation menschlicher Entwicklung. Angst fühlt sich nicht „gut“ an. Aber gerade das ist auch der Treibstoff für persönliche Entwicklung. Denn Angst bezieht sich auf Dinge, die uns zutiefst wichtig erscheinen: Die unbedingte Liebe zu uns selbst und zur Selbsterhaltung, aber auch zu anderen Menschen oder Dingen (Verlustangst). Immer, wenn in uns Unwohlsein und Angst aufkommt, dann ist das ein Aufruf, dass wir an genau dieser Stelle nach kreativen und konstruktiven neuen Lösungen suchen sollen. Gelingt dies, ist es ein wesentlicher Beitrag zu geistig struktureller Reifung. Zu einem konstruktiven Umgang mit Angst gehören

  1. „Wahrnehmen“ - Die eigenen Ängste wahrzunehmen, zu erkennen und zunehmend zu kennen. Das ist nicht angenehm, mitunter leidvoll und von großer Trauer begleitet. Viele Menschen steigen daher hier bereits schon wieder aus.

  2. "Verstehen" - Weshalb kommt diese Angst überhaupt gerade auf? Bei der Ergründung dessen helfen zahlreiche psychologische Ansätze und Sichtweisen.

  3. "Wertschätzen" - Dann macht es Sinn, diese Emotion und die sie verursachenden Umstände wertzuschätzen (Akzeptanz). Denn Angst ist eine Emotion, die grundsätzlich unserem Schutz dient. Angst ist ein Teil von uns! Nur so gelingt es, auf Dauer Ängste in persönliche Entwicklung und innere Sicherheit zu verwandeln. Es geht bei der Arbeit an Ängsten um ein Miteinander und eben nicht um ein Gegeneinander, wie wir es mit unseren zahlreichen Abwehrmustern im Umgang mit Angst nur allzu oft betreiben.

  4. "Verändern" - Nun ist auch der Weg frei, um den letzten entscheidenden Schritt zu tun: Persönliche Veränderungen vornehmen - im Denken, Fühlen, Handeln. Neues ausprobieren, konstruktiv neue Wege und Sichtweisen finden - respektvoll sich selbst und anderen gegenüber. So kann man neue Kompetenzen entwickeln, damit Angst an dieser Stelle nicht mehr erforderlich ist, um uns zu schützen. Am besten gelingt das, wenn wir die Angst zuvor beruhigen konnten, weil wir dann kognitiv viel besser in der Lage sind, neue Sichtweisen und Handlungslogiken zu erschließen.

Wem das nach und nach gelingt, dem öffnet sich das Tor zu weiterer eindrucksvoller persönlich-struktureller Entwicklung. Für den Schritt in postkonventionelle Reifestufen, deren Inhalt unter anderem die Entdeckung der Konstruktivität des eigenen Selbst umfasst, scheint genau das die Eintrittskarte zu sein: Die intensive Auseinandersetzung mit inneren psychischen Prozessen – auch gerade dort, wo es zunächst sehr unangenehm ist und auch leidvoll sein kann. Schulz von Thun sieht Entwicklung als dann wahrscheinlich, wenn Akzeptanz [der Angst] mit Konfrontation durch andere Sichtweisen zusammenkommt. Das sollte gerade jenen Mut machen, die ihre Ängste und Sorgen spüren und an diesen Arbeiten wollen, sich also nicht von ihnen abwenden.

Wer sich seinen Ängsten hingegen verwehrt, sich ihnen nicht stellt und nicht gut damit auseinandersetzt, wird sich im Leben geistig-strukturell kaum weiterentwickeln. Das ist nicht verwerflich, aber doch schade um das ungenutzte persönliche Potential. Vielleicht abschließend eine Erkenntnis aus der Entwicklungsforschung: Erwachsene Menschen, die sich häufiger offen lustig über Ängste anderer machen, geben mit diesem Verhalten tatsächlich Hinweis auf eine weit unterdurchschnittlich gereifte psychische Struktur ihres Ichs. Den Mutigen unter uns, die zu ihren Ängsten stehen und an ihnen arbeiten, möge das also Beruhigung und Zuversicht schenken, da sie voraussichtlich bereits deutlich weiter in ihrer selbst-strukturellen Entwicklung sind als die Provokateure. Gehen Sie diesen eingeschlagenen Weg also ruhig konsequent weiter. Übung macht den Meister.


Haben Sie Mut, auf ihre Angst zuzugehen! Es lohnt sich.

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